Gestern hab ich mit T. einen Spaziergang am Tegeler See gemacht. “Wo wollen wir den laufen?”, war seine Frage per WhatsApp, “ich kenne mich am See nicht aus”. “Gut”, sage ich, ich suche uns eine schöne Stelle zum spazieren gehen. Fein, er war einverstanden. Als wir uns in der Tegeler Fussgänge-Zone treffen, ist er erstaunt, warum ich ins Auto steigen will. Warum gehen wir denn nicht hier an der Uferpromenade? Ich sage mit einem Fragezeichen in den Augen, “wollten wir nicht am See spazieren gehen?” Die Uferpromenade in Tegel ist wie Alexanderplatz am Samstag. Wir fahren durch einen wunderschönen Waldweg am See entlang; “wie lange fahren wir denn noch und wo fahren wir den hin”, wird neben mir ungeduldig gefragt. Ich antworte, “bis es nicht mehr weiter geht”. Ich hatte den Weg natürlich vorher ausgesucht. Eine kleine Badestelle sollte das Endziel sein. Endlich dort angekommen, steht er herum wie Falschgeld. Die Stelle liegt in einer kleinen Bucht, ein paar Jachten ankern dümpelnd mitten drin, das Licht ist seidig. Eine kleine Gruppe Leute lagert um eine Grillfeuer. Ein paar davon sind wie richtige Seeräuber verkleidet und man hört südamerikanische Wortfetzen. Eine Graugansfamilie watschelt ohne Angst mitten durch die Leute. T. steht noch immer an der oberen Kante des kleinen Strandes und schaut unwirsch. “Komm”, sage ich zu ihm, “lass uns mal runter zum Wasser schauen und die Bucht ein wenig erkunden”. Er ist nicht begeistert, also gehe ich los. Ich begrüsse die verkleidete Truppe und sehe, dass sie eine Kamera auf ein Stativ montieren, offensichtlich wollen sie filmen. T. kommt zögerlich nach und fotografiert die Gänseküken. Ich gehe noch eine paar Schritte in die wild verwachsene Bucht, um sie zu erkunden; es ist etwas unwegsam, und gleich meint T., “komm, lass uns umdrehen, hier geht es nicht weiter”. Gut ich schwenke um und wir gehen weiter auf dem Weg. Gleich nach eine paar Schritten ein Steg, der zieht mich magisch an. Ich gehe hin, will bis vor zum Wasser und sage, “komm, hier kann man super Fotos machen”. Er, “nein, da darf man nicht drauf”. Kommt aber dann doch und begeht als Erster den Steg.
Er ist ganz morsch und man muss aufpassen, dass man nicht durchbricht. Macht nichts, wir kommen bis ans Ende und können ins Wasser schauen. Ich sehe, wie klar das Wasser ist, und dass dort jede Menge Seerosen stehen. Ich mache zwei Fotos und er macht eins von mir. Wir gehen weiter, T. bemerkt, dass wir besser auf der anderen Seite gelaufen wären, denn von hier müssen wir uns nun die langweiligen Häuser, die am anderen Ufer in Tegel stehen, anschauen. Ja, man kann über die Spitzen der Bäume am anderen Ufer drei Dächer der Hochhäuser sehen. Wir gehen weiter, er immer drei Schritte vor mir. Ich gebe mir keine Mühe ihn einzuholen. Menschen, die so laufen, lassen den anderen nie neben sich gehen. Er doziert über Fotografie, Weissabgleich und Normkarten. Super, wenn einer was weiss, doch gestern war das nicht mein Thema. Die Amsel-Männchen sangen ihr freudiges Lied über ihren Nachwuchs. Melodien von mir unbekanntem Federvieh war zu hören und dann die Nachtigallen. Ich blieb mehrmals stehen, um sie besser zu hören. Sagt er, “Nachtigallen, hab’ ich noch nie gehört”. Wann immer wir stehen bleiben, hören sie auf zu Tirilieren. Sobald wir weitergehen, fangen sie wieder an. So kann ich ihm nie genau sagen, welche nun die Nachtigall ist. Ach, sagt er, das ist doch ganz einfach und zückt sein Handy, sucht ein wenig und hebt dann sein Handy hoch und siehe da, es zwitschert eine Nachtigall. Aus dem kleinen Lautsprecher hört es sich ein wenig blechern an, aber es ist eindeutig eine Nachtigall. Er ist begeistert, weil er nun glaubt, dass ihm alle anderen Nachtigallen im Wald antworten. Ich mache noch einen schwachen Versuch, ihm zu erzählen, was sie in ihrer vermeintlichen Antwort sagen. Das interessiert ihn aber nicht weiter. Wir gehen weiter denn ich verstehe was sie sagen: “He, hau’ ab, wenn du keine Nachtigall-Frau bist; das hier ist mein Platz!”
Schöne neue Welt.
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