Samstag, 30. Mai 2015

Nestbau

Eine Amsel ist bei mir eingezogen. Ich hatte mir gerade vier wunderschöne Stiefmütterchen gekauft und zu den Löwenmaul-Pflanzen, die den Winter überstanden hatten, in einen flachen großen Topf gesetzt. Irgendwie sind sie nicht richtig angegangen. Schon am zweiten Tag sahen sie so niedergetrampelt aus, was auf dem Balkon im ersten Stock ja nicht wirklich sein kann.

 Ich zupfe sie also wieder zurecht, giesse, drücke die Erde an, doch als ich am nächsten Tag nachschaue, sehen sie genauso zertrampelt aus wie zuvor. Doch als ich genauer schaue, entdecke ich mitten drin im Topf eine kleine Mulde. Mir gegenüber im Baum sitzt eine Amsel und zetert. Ich schaue amüsiert und frage “ was schimpfst du denn so”. Als ich den Balkon verlasse und die Tür hinter mir schliesse, sehe ich aus den Augenwinkeln einen dunklen Schatten vorbei huschen. Die Amsel. Sie landet mitten im Stiefmütterchentopf. Ah, denke ich, sie ist also der Trampler. Ich muss sagen, sie hat Wohngeschmack. In mitten der weissen Blumen schaut sie wirklich ganz possierlich aus. Sie zupft und puttelt die Pflanzenstängel auseinander, legt sich mitten in den Topf und drückt und rüttelt mit ihrem Bauch eine kleine Mulde zurecht.





 



Als sie wieder weg fliegt, stecke ich ein paar Stöckchen über die Mulde. So ein Vogelnest macht doch eine arge Sauerei auf dem Balkon und ausserdem gibt es im Park gegenüber doch sicher genug doch Orte, wo sie ihr Nest bauen könnte. So denke ich, doch kaum gedacht, drehe ich mich um und ziehe die Stöckchen wieder raus. Eigentlich könnte es doch interessant sein so einem Vogel beim Nestbau und Brühten zuzusehen und Vergnügen bringt es allemal. Die Stiefmütterchen werden das halt aushalten müssen. So denke ich dann… und ich werde es auch aushalten. Sie kommt  zurück, hat offensichtlich nichts von meinem Boykott an ihrem Nest bemerkt, schabt wieder in der Erde setzt sich mitten rein in die kleinen Mulde, hudert wieder und wieder mit ihrem Bauch und ausgebreiteten Flügeln bis die Mulde rund genug für sie ist. Sie hockt sich auf den Rand des Blumentopfes und begutachtet ihr Werk. Drei Tage braucht sie bis die Mulde ganz nach ihrem Geschmack ist; dann sehe ich am nächsten Morgen das erste Zweiglein. Eingefädelt zwischen den Blumen. Am nächsten Morgen ist schon der ganze Rand der Mulde mit feinen Stöckchen und trockenen Gräsern umrandet. Kein einziges mal habe ich sie beim Nestbau beobachten können. Die ganze Bauarbeit muss in den ganz frühen Morgenstunden stattgefunden haben. Denn wenn ich morgens um sechs auf den Balkon kam, war schon immer ein grosses Stück weiter gebaut.Tags über war der Bau verlassen. Mit grosser Akribie wurde der Rand gefertigt, drei Tage hat sie allein dafür gebraucht. Vom letzten Herbst hatte ich noch ein paar weiche Gräser liegen, die habe ich ihr dazu gelegt. Ich dachte mir, ich helfe ein wenig mit, dann muss sie nicht so oft fliegen. Aber die wollte sie  gar nicht; schnöde lagen sie auf dem Boden. Nun gut, dachte ich mir, die haben dir halt nicht gefallen. Ich würde auch nicht wollen, dass jemand anderer meine Wohnung einrichtet. Habe aber dann trotzdem noch beim Nestbau geholfen; ein kleines Zweiglein stand nämlich schon zwei Tage störrisch ab und das habe ich dann eingefädelt. Das hat sie aber akzeptiert oder gar nicht bemerkt. Nach drei Tagen war der Rand fertig, nur die akkurate Rundung der Erdmulde im Boden war noch zu sehen.
Am Morgen darauf war der Nestboden mit sehr dünnen Ästchen verwoben. Vermutlich wird so ein Nest in der Morgendämmerung  gebaut, weil die grossen Greifvögel da noch schlafen und so nicht sehen können, wo bald ihr Frühstücksei zu finden wäre. So früh ich auch geschaut habe, immer war nur der Fortschritt zu sehen. Nach einer Woche war das Nest dann fertig. Als ich am achten Tag auf den Balkon komme, sitzt sie im Nest. Mit gerecktdem Hals und kugeligen, vorwurfsvollen Augen schaut sie mich an, “ja”, sage ich da zu ihr, “schau nicht so empört, ich bin hier zu Hause und du bist mein Gast”. Sie bleibt sitzen. Ich gehe in die Küche und mache mein Frühstück; als ich mit dem Tablett zurück komme, sehe ich, dass sie ausgeflogen ist. Sofort schaue ich ins Nest und siehe, da ein kleines blassblau-beige gesprenkeltes Ei liegt drin.


Schon kommt sie mit elegantem Schwung und ganz leise zurück geflogen. Vermutlich war sie frühstücken oder duschen und Schnabel putzen. Sie macht es sich im Nest wieder bequem, rüttelt das Ei unter sich noch zurecht und schaut mich dann wieder empört an. Es war einer der ersten warmen Tage und so haben wir den ganzen Tag zusammen auf dem Balkon verbracht, sie auf dem Nest und ich in der Sonne brütend. Am nächsten Morgen war ein zweites Ei im Nest, genau so schön wie das erste. Wieder haben wir den ganzen Tag zusammen verbracht und am frühen Nachmittag habe ich beobachtet wie sie, die sonst immer ganz flach, fast unsichtbar im Nest hockt, sich aufrichtet, versonnen in den Himmel schaut und mich diesmal auch nicht beachtet, als ich vorbei gehe. Dann hebt sie den Pürzel, puttelt ein wenig unter sich rum und schmiegt sich wieder ganz flach un ihr Nest. Als ich später wieder ins Nest schauen kann, ist das dritte Ei gelegt,. Und am folgenden Tag, es ist wieder kalt geworden, liegt das vierte Ei im Nest. 


Ich bin erstaunt wie lange sie die Eier allein lässt und mache mir gleich sorgen, dass ihr was passiert sein könnte. Wieder und wieder schau ich nach, aber Mama ist nicht da. Es hat mal gerade sechs, sieben Grad draussen. Doch nach einer Stunde kommt sie doch zurück und sitzt den Rest des Tages auf dem Gelege. Eine ganze Woche wird nun ausdauernd gebrütet. Am achten Tag, er ist besonders schwül, schlüpft das erste Küken.

Aber ist es überhaupt das Erste; es sind nur noch zwei Eier im Nest und das erste Küken. Ganz eindeutig fehlt ein Ei. Keine zwei Stunden Später weiss ich warum. Grosses Gezeter und Gekreische direkt vor meinem Balkon, die Amseleltern hüpfen verzweifelt kreischend auf einem Ast ganz nahe beim Nest. Während eine Elster und eine Krähe darum  kämpfen an das Nest und die darin liegenden frisch geschlüpften Küken zu gelangen. Das was sie am Vortag geraubt hatten schien geschmeckt zu haben. Abgerissene Stiefmütterchen und Federn fliegen durch die Luft.


Ich reisse die Tür auf und klatsche reflexartig laut in die Hände. Komisch, die Krähe und die Elster hauen sofort ab, doch die Amseln bleiben trotz lautem Klatschen erst mal sitzend. Natürlich haben sie begriffen, dass das nicht ihnen galt. So stelle ich mir das mal vor, als stolze Vogel-Oma. So also ist das erste Küken weg gekommen; ein Frühstückshappen für ein Elster oder Krähenküken. So ist das halt in der Natur, fressen und gefressen werden. Aber doch nicht auf meinem Balkon! Will nicht hören, wie um die kleinen Würmer, die der Amselvater nun Stunde um Stunde an die Mutter übergibt, gejammert wird. Wenn er kommt füttert er erst die Mutter und danach fliegt er los und bring dann ganz schnell die nächste Ration für die Küken. Die Mutter setzt sich auf den Rand und schaut genau wie der Vater das Futter verteilt. So jetzt ist aber Gefahr in Verzug, was tun um die hungrigen Greifer abzuwehren. Die Amselmutter schaut ein wenig blöd, als ich ihr Nest mit kleinen robusten Stöckchen umzäune,doch sie muss da bleiben und sehen was ich mache, sonst findet sie nicht wieder in ihr Nest. Als es ihr dann aber doch zu bunt wird zwickt sie mir in die Hand. Hat echt weh getan und die Abdrücke ihres Schnabels waren noch lange zu sehen. Sie fliegt aus, ganz schnell greife ich zur bereit gelegten Kamera um den Neuankömmling zu filmen. Mein Gott da geht einem schon das Herz auf. So was winziges. Federlos in durchsichtige rosa glänzende Haut gehüllt und keine zwei Zentimeter gross liegt es erschöpft von der harten Arbeit des Schlüpfen´s zwischen den Geschwister eiern. Ich mache ein ähnliches Geräusch wie die Mutter wenn sie füttern will und siehe da, das Küken hebt den Kopf, stützt sich mit den winzigen Flügelstummeln auf die beiden Eier und reisst seinen Schnabel so derartig weit auf dass von ihm selbst fast nichts mehr zu sehen ist. Da entdeckt mich die Mutter, kommt angeschossen und fliegt mir gegen den Kopf. Huch hab ich mich erschrocken; mit so viel Mut und Angriffslust habe ich nicht gerechnet. So eine mutige Mutter, mir blieb kaum Zeit den Arm schützend vor das Gesicht zu halten.

Der Amselvater hält sich sehr im Hintergrund, ihm bin ich nicht geheuer. Wann immer er mich sieht, schimpft er mit recht lautem Gezeter. Frau Amsel lässt sich aber, wenn sie auf dem Nest sitzt, von meiner Anwesenheit nicht stören; na ja schon ein wenig, denn wenn ich komme, dann hockt sie sich ganz breit auf ihre Küken. Sie verlässt das Nest nun nur noch kurz, vermutlich für das “ Nötigste”. Am selben Tag schlüpfen die beiden anderen Küken und nun ist ein reges Kommen und Abfliegen im Gange.

Wie schnell der Vater die Würmer einsammelt und an die Mutter übergibt, ist mir schon ein Rätsel. Wo sind all die Würmer, wenn ich über eine Wiese gehe? Und wieviel werden platt getreten wenn ich das tue, irgendwie gruselig. Nun kann man zuschauen, wie die Küken wachsen. Jeden Morgen ist so viel mehr Federkleid gewachsen und die Augen, die noch geschlossen sind werden immer kugeliger und dunkler. Am Rücken und an den Flügeln wachsen die Federn am schnellsten. Der Rest des Körpers ist mehr mit kleinen Daunen bedeckt. Ich will die Küken fotografieren, und mache wieder so ein glucksendes Geräusch wie die Mutter. Nur einen Moment haben sie alle die Schnäbel aufgerissen und dann sofort den Betrug bemerkt und sich ganz tief ins Nest geduckt.

Schon kam die Mutter wieder angerauscht und hat sich mit empörtem Blick auf die Brut gesetzt. Als die Küken schon einen ordentlichen Happen abgeben, gibt es wieder einen Angriff. Zwei Greifvögel, eine Elster und eine Krähe kämpfen darum an das Nest zu gelangen, doch meine Abwehr-Konstruktion tut ihre Wirkung. Sie gelangen nicht an das Nest. Vollkommen aufgeregt zeternd sitzen die Eltern im Baum gegenüber und weil sie so erregt sind, werde ich, die auf dem Balkon stehe, um das Nest zu beschützen, angegriffen. Es geht ganz schnell, sie fliegt mich von unten so rasant an, so dass ich sie gar nicht gleich sehen kann und hackt mich mit ihren Krallen in dem Kopf. Ein Glück hält mein Haar das Schlimmste ab. Genauso schnell wie sie gekommen ist, fliegt sie davon, um sofort einen neuen Angriff zu starten.

Währenddessen sitzt der Vater auf dem Ast und beschränkt sich damit mich auszuschimpfen. Ich bringe mich in Deckung und beobachte hinter der Balkontür stolz, dass die kleinen Stöckchen wirkungsvoll waren und die Angreifer abgewehrt haben; und ein wenig fühle ich auch den Dank meiner kleinen gefiederten Schutzbefohlenen. Um die Mutter, die ja nun wirklich nicht mehr genug zu fressen bekommt und schon ganz dünn aussieht, zu unterstützen, reiche ich täglich einen kleinen Snack. Erst gibt es Apfelstückchen, später dann Rosinen und als es Erdbeeren gibt, ist es vorbei mit dem heimlichen fressen. Kaum hab ich die Erdbeeren aufgetragen, hüpft sie aus ihrem Nest und macht sich über die Mahlzeit her. Am dritten Tag möchte auch ich mein Vergnügen und gehe mit Erdbeeren und einer Pinzette raus.


Ich reiche ihr die Stückchen mit der Pinzette direkt vor den Schnabel. Sie schaut blöd, so was Dummes hat sie vermutlich noch nie erlebt. Nimmt mir aber dann  die gereichten Stückchen gnädig ab. Drei, vier reiche ich ihr, dann zeige ich ihr den Napf und stelle ihn wieder hin. Er steht ausser Sichtweite und doch hüpft sie raus um weiter zu fressen. Jeden Morgen gehe ich nun raus, um ihr das Frühstück zu bringen und sie wartet schon auf mich. Es ist wirklich nett zu beobachten, wie so ein scheues Tier nach einer Weile auch aus meiner Hand frisst. Das lasse ich aber nach einem Versuch wieder, denn sie ist nun so gierig dass sie mir schon mal in den Finger zwickt, wenn es nicht schnell genug geht.
Als ich einmal, ohne dass sie mich entdeckt hat, in der Balkontür stehe, sehe ich, dass sie schläft. Tief und fest, ihr kleiner Körper atmet ganz tief ein und aus.
Fast eine Minute stehe ich da und beobachte sie; wer hat schon jemals einen schlafenden Vogel gesehen. Als sie dann unvermittelt die Augen aufmacht und mich anschaut, bin ich es, die sich erschreckt. Nach einer guten Woche sind die Küken so gross, dass die Mutter sie nur noch mit Mühe zudecken kann. Immer wieder schiebt sich ein kleiner Schnabel am Bauch der Mutter vorbei und nun hört man auch schon leises Piepsen und auch die Augen sind nun auf. Dann werde ich wirklich verletzt; ich greife durch die Töpfe nach aussen um einen umgefallenen Topf vor dem Absturz zu retten, da kommt die Amselmutter, wieder ganz leise von unten angeflogen und hackt mir so fest mit ihren Krallen in die Hand, dass ich doch tatsächlich blute. Sofort ist die winzige Wunde rot angeschwollen und ich musste mich desinfizieren. Noch heute trage ich diese kleine Narbe mit Stolz.

Am Abend dann beginnt es zu regnen,als der regen zum Sturm ausartet und dicke tropfen ans Fenster platschen kann ich nicht mehr ruhig auf meiner Couch liegen. Ich hole einen Schirm und stelle mich damit zum Nest. Ich komme mir schon eine wenig doof dabei vor. Doch bevor ich mich selber auslache lässt der regen nach.
Die Küken sind nun so gross, dass sie ihre Flügel ausbreiten und wenn sie sich unbeobachtet fühlen, auch ein wenig flattern. Ansonsten sitzen sie ganz still und flach in ihr Nest geduckt. Sie wissen ja nicht, dass ich das Nest “raubvogelsicher” gemacht habe. Ihr Instinkt ist bis zur letzten Sekunde ihres Nestaufenthaltes auf Tarnung aus. Doch dann von einer Sekunde zur anderen fliegen sie einfach los und es scheint sie nicht zu interessieren, was sie da draussen erwartet. Als ich nach 34 Tagen zusehen darf, wie das erste Küken das Nest verlässt ist es genau so. Todesmutig wird am Rand vom Nest geflattert, gezappelt und gepiepst als gäbe es da draussen keine hungrigen Raubvögel. Die Eltern waren nicht zu sehen und doch denke ich, dass sie gegenüber in den Büschen sassen und die Kinder gerufen und gelockt haben. Zielsicher fliegt der erste ab, so schnell ist er in den Büschen gegenüber verschwunden, dass ich ihn gar nicht mehr sehen konnte.




Der zweite tat es ihm gleich, doch der Dritte tat sich schwer mit so viel Mut. Er hat sich erst mal im gegenüberliegenden  Blumentopf versteckt. Über eine Stunde machte er keine Anstalten dort wieder rauszukommen. Die Eltern haben sich auch nicht mehr sehen lassen. Da habe ich mich zur Starthilfe entschlossen. Mit einer breiten lange Samenkapsel, ein Mitbringsel aus einem Urlaub auf Gomera. Die habe ich ihm hingehalten und er ist tatsächlich, wie ein zahmer Wellensittich drauf gestiegen. So habe ich ihn wieder in sein Nest gesetzt. Wieder in der Ausgangsposition angekommen, hat er allen Mut zusammen genommen ist aus dem Nest, auf dem Blumentopf und dann an den Rand der Balkonbrüstung gehopst und nach ein paar jämmerlichen Zwitscher-Rufen, voll durchgestartet. Weg war er. Zehn Tage sind seidher vergangen, heute habe ich zwei junge Amseln, ein Junge und ein Mädchen unten im Garten auf der Wiese gesehen. Einträchtig wie Bruder und Schwester sind sie hintereinander auf Futtersuche durch die Wiese gewatschelt. Zwei von Vier sind übrig geblieben, das ist eigentlich viel.            

Samstag, 23. Mai 2015

Hochzeitskutsche


Fremde Leute kamen auf meine Mutter zu und fragten ob ich, weil ich so ein niedliches Mädchen sei, bei einer kirchlichen Trauung in Neuköln Blumen streuen könne. Aus hellblauen Taft nähte meine Mutter ein Kleid mit Rüschen und Schleifen für mich und  ich bekam die schönsten Schuhe die ich in meinem ganzen Kinderleben je bekommen hatte. Schwarze Lackschuhe mit eingestanztem Blumenmuster. Ganz konzentriert ging ich vor dem Brautpaar her und streute Rosenblätter auf ihrem Weg vom Altar bis zur Kutsche. Zwei ganz große Schimmel, die synchron mit ihre langen zu einem Zopf geflochtenen weissen Schwänzen schaukelten, waren angespannt in eine weisse Hochzeitkutsche. Ich durfte mit einsteigen und fuhr ganz allein mit dem Brautpaar durch die Stadt. Die Menschen am Strassenrand winkten und riefen Glückwünsche zu uns hin und ich kam mir ganz grossartig vor.  


Puppen im Körnerpark


Dann kam 1953 der erster Umzug nach Neuköln, Altenbraker Strasse, ganz nahe am Körner Park, einem wunderschönen, anheimelnden Park. Er wurde damals noch zu Rixdorfer Zeiten in eine sieben Meter tiefe Senke, eine ehemalige Kiesgrube, gebaut. So wurde man im Frühjahr nicht von kalten Winden gestört . Es gab dort einen leeren Brunnen, an dessen breiten Rand wir “puppten”. Mit Puppenwagen, Puppe, kleinen Deckchen und Kissen wurde gepuppt, was so viel hiess wie, alles auspacken, Puppe auf die Decke, Puppe ausziehen, Puppe wieder anziehen, füttern und so tun als sei das Kind schon Mutter. Eine wunderbare Kinderwelt, in die ich versank und über Stunden darin verschwand. In der Strasse vor der Tür  haben wir “Himmel und Hölle Hopse” gespielt, Fliegen aus den Spinnweben hinter der Regenrinne gerettet, um sie dann in kleine Käfige, gebastelt aus Korkscheiben mit Stecknadeln dazwischen, zu sperren. Wir bogen Esslöffel um und banden sie an lange Stöcke, um damit unter den Eisengittern vor den Kellerfenstern nach Geldstücken zu angeln. (Später hab ich genau so mal meinen Autoschlüssel gerettet). Wenn das Eisauto kam, ein kleiner Dreirad-Lastwagen mit Zweitaktermotor, “tömteröm tömtöm”, standen wir fasziniert parat. Mit  spitzen, grossen Pickeln wurden lange dicke Stangen Eis von der Ladefläche des Autos gezogen. Muskelöse, nach Schweiss riechende Männer, die dicke Lederschürzen umgebunden hatten, luden sich die Eisstangen auf die Schultern und liefen, unter der Last ächzend, in die Schultheiss-Kneipe an der Ecke, um die kalten Stangen dann im Keller abzuladen. Wir bekamen jeder ein Stück zum Lutschen. Ein Junge hatte ein grünes Tretauto; ein solches wünschte ich mir lange vergebens. Dort kam alle paar Tage kam ein Leierkastenmann in den Hof. Er hatte einen kleinen Affen dabei. Ein paar Groschen  wurden in Zeitungspapier gewickelt.Die durfte ich dann aus dem Fenster in den Hof werfen. Behände und possierlich sammelte das kleine Äffchen die Geldgeschosse ein. Die Wohnung in Neuköln lag direkt in der Einflugschneise zum Flugplatz Tempelhof. Wir wohnten ganz oben, fünfter Stock. Stundenlang sass ich am Küchenfenster und beobachtete die landenden Maschinen. Der Flughafen war so nahe und die Flugzeuge schwebten hin und her schaukeln so tief über uns hinweg, dass ich die Menschen in den Fenstern der Maschinen erkennen konnte. Sie flogen buchstäblich direkt über das Dach des Nachbarhauses. Dabei zitterte dessen Schornstein immer ganz bedenklich; eines Tages fiel er um und rutschte vom Dach.



Vom Rad gefallen

1949-52

Es war Sommer und geschah zu einer Zeit  als ich noch so klein war dass ich mich nicht erinnern konnte. Vor ein paar Jahren erst hat meine Mutter mir folgende Geschichte erzählt: Es war Sommer und die Mutter, sie war da schon hochschwanger mit meinem Bruder, ist mit mir zum Baden an den See gefahren. Auf der Fahrt dort hin bin ich vom Gepäckträger gefallen. Grosses  Geheule, doch weil keine Verletzungen zu sehen war wurde ich wieder auf´s Rad gesetzt und weiter ging die Fahrt zum See. Den ganzen Tag hätte ich gequengelt so erzählt sie. Ich wollte nicht ins Wasser, ich wollte nicht mit Sand spielen und nicht mit dem Ball. Ich hätte nur den ganzen Tag schlecht gelaunt  auf der Decke gesessen. Die Mutter erzählt weiter dass sie ganz sauer war weil ich so schlecht drauf war, es war doch so schön am See und sonst hätte mir das dort doch gefallen. Nach der Arbeit am späten Nachmittag kam auch der Vati zum See. Die Mutter berichtete gleich dass ich den ganzen Tag schlechte Laune hatte und es gar keinen Spass gemacht hätte mit mir. Der Vati, so erzählt sie hätte mich angeschaut und sofort gesehen dass ich mir das Schlüsselbein gebrochen hatte. Als die Mutter mir das so unverblümt erzählte war ich doch etwas erstaunt wie wenig Mitgefühl sie zeigte, auch wenn es schon mehr als 60 Jahre zurück lag hätte ich mir doch, auch heute noch, ein Mitgefühl für mich gewünscht. Sie hasste Krankheiten bei anderen und das sollte ich noch oft am eigenen Leib erfahren.

Donnerstag, 21. Mai 2015

Mai - von Tag zu Tag: Brett im Bett


Ich steige in mein Auto und will vom Parkplatz auf die Strasse fahren. Der Parkplatz ist recht gross und von der Ausfahrt trennt mich eine gewisse Distanz. Durch einen Torbogen erreiche ich die Strasse. Dort angekommen, ist diese gesperrt. Ein rot-weisses Band, straff gespannt, versperrt den Weg. Ich steige aus und staune. Ein tiefes Loch klafft dort wo die Durchfahrt war und legt ein Gerippe von dicken und dünnen verrosteten Rohren frei. Neben dem Loch ein grosser Haufen von feinstem märkischen Sand und daneben steht ein Arbeiter, stützt sich mit einer Hand auf seine Schippe und mit der anderen hält er eine Zigarette. Ich schaue interessiert in das Loch; man muss sich das anschauen, denn wann hat man schon mal die Gelegenheit den Untergrund zu begutachten. Dem Arbeiter passt das gar nicht. “Was ist…?“, fragt er unwirsch. ”Ich möchte rausfahren “, antworte ich. Er wieder, “sie sind doch benachrichtigt worden.” “Nö”, sag’ ich, “bin ich nicht.” “Der Hausmeister hat aber gesagt, dass ich anfangen kann.” Na super, auf dem Parkplatz stehen noch 10 Autos. Ich frage ihn, ob er nicht ein paar Bretter über das Loch legen könne? Nein, kann er nicht. In Erwartung der zusätzlichen Arbeit fügt er noch genervt hinzu, man dürfe das aus statischen Gründen sowieso nicht tun. Ich muss raus, in zwei Stunden hab ich einen Termin. Ich bitte ihn nun um die Telefonnummer von seinem Bauleiter. Die hat er gar nicht gerne rausgerückt und noch angefügt, dass der auch nichts machen könne. Der Bauleiter war ein ganz Netter. Ja, ja, sagt er, ich kümmere mich darum und lässt sich meine Telefonnummer geben. Nach nur einer halben Stunde ruft er an und meint ganz stolz und freundlich, “ Frau Bernhard sie können jetzt rausfahren”.  Huch, denke ich mir, das ging aber fix. Ich steige ins Auto fahre zur Durchfahrt und siehe da, über dem Loch in der Durchfahrt liegen dicke Bretter. Ich fahre vorsichtig drüber, hab’ ja zuvor gesehen wie tief das Loch ist und parke mein Auto auf der Strasse vor der Tür. Auf dem Rückweg treffe ich auf den Bauleiter. Sehen sie, sag ich zu ihm, mit so ein paar Brettern haben sie nun eine Frau glücklich gemacht. Er schaut mich erstaunt an und meint, “na wenn das so einfach ist, werde ich meiner Frau heute Abend ein paar Bretter mitbringen”. Das ist echter Berliner Humor; den muss man geniessen, denn er ist rar geworden.       

Mittwoch, 20. Mai 2015

Militante Sprechstundenhilfe


Ich war schon lange nicht mehr bei meiner Ärztin. Ein Termin auf “Warten” hab’ ich noch bekommen, was soviel heisst wie um neun Uhr auf der Matte stehen und auf drei Stunden Warten einstellen. 



Nun gut, manche Dinge muss man ertragen. Bin also pünktlich und doch sind schon drei Leute vor mir. Ich grüsse freundlich in die Runde, mein Gruss wird mit ängstliche Blicken und zurückhaltendem Kopfnicken erwidert. Ich stehe am Tresen, niemand ist da. Aber ein grosses Hinweisschild sticht mir ins Auge: “Legen sie ihre Karte der Reihenfolge nach auf das Tablett. Setzen sie sich. Hier geht alles seinen ruhigen Gang. Hm, ein Fragezeichen breitet sich in meinem Kopf aus, fehlt hier nicht noch die Aufforderung dem Mund zu halten? Dann kommt sie, die Sprechstundenhilfe. Eine frustriert dreinschauende Frau so um die fünfzig, etwas übergewichtig. In ihrer weissen Jeans ist ein breiter Hintern fest eingepackt und ihre Gesundheitschuhe sind breit getreten. Ihre rot-grauen Haare stehen wirr, kraus und ohne nennenswerte Frisur von ihrem Kopf ab. Ein echter Dragoner! Kein Gruss, dafür ein empörter Blick. “Haben sie einen Termin?” werde ich forsch gefragt. “Ja, einen Termin auf warten.” Ich nenne unaufgefordert meinen Namen, was mir noch einen empörten Blick einbringt. Sie fängt an zu suchen und findet mich nicht. “Sind sie privat versichert?” Ihr Ton hörte sich eher an wie, “sind sie  e t w a  privat versichert !?” Ja, die arme Frau hat es wirklich nicht leicht. Endlich findet sie meine Akte und geht damit raus. Eine neue Patientin kommt rein, liest das Hinweisschild, kramt in ihrer Tasche, legt ihre Karte ordentlich unter meine und setzt sich. Der Dragoner kommt wieder ins Wartezimmer. Kein Gruss. Die neue Patientin soll ihren Namen sagen. Sie sucht und findet ihre Akte und legt sie ordentlich unter den Stapel, das kann sie ganz gut. Die neu eingetroffene Patientin erhebt sich leicht von ihrem Stuhl und will in Richtung Dragoner etwas fragen. Ein zwei Worte hat sie schon rausgebracht, da wird sie jäh unterbrochen. Der Dragoner reckt den Zeigefinger in die Luft und spricht mit hoch gestrecktem Kinn in Richtung der Fragerin und auch gleich noch in die ganze Patientenrunde, nein sie spricht nicht wirklich, sie warnt eher. ”Hier wird nicht gefragt und nicht gesprochen, hier ist ein Raum der Stille!”, und verweist mit ihrem nun noch höher gerecktem Finger auf die buddhistischen Ornamente an der Wand im Hintergrund. Der fragenden Patientin bleibt der Mund offen stehen; dann sackt sie in sich zusammen und setzt sich und schliesst den Mund. Sie schaut mich verwundert- fragend an. Der Patient zu meiner Linken, ein Engländer, schaut verzweifelt empört und schämt sich fremd. So was begegnet ihm in seiner Heimat wohl eher nicht. Der dritte Patient streckt die Beine aus und verschanzt sich hinter seiner Schirmmütze. Eine weitere Patientin betritt den Raum, bleibt wartend am Tresen stehen. Ihre Stirn ist ganz feucht, ihre Wangen glühen und ihre Augen liegen in tiefen Höhlen. Ganz offensichtlich ist sie krank. Sie wartet ein Weilchen, als keiner kommt sackt sie auf den Hocker der am Tresen steht. “Haben sie eine Termin !?” wird auch sie dann angeherrscht. Sie verneint und sagt dass es ihr schlecht geht und sie warten will. “Sie müssen wieder gehen wir haben keinen Termin mehr auf Warten”. Die arme Kranke schaut verdutzt, hat aber offenbar keine Kraft für Widerworte. Statt dessen setzt sie sich auf eine Stuhl zu den anderen Wartenden. Ich komme dran. Gespräch mit der Ärztin, danach die Entscheidung für Blutabnahme. Ich gehe ins Labor. Sitzend beuge ich mich vor und lasse meine Arme hängen, mach ich immer so. Hab nämlich keine guten Venen und auf diese Weise staut sich das Blut ganz schön und mein Arm gibt besser Blut her. Der Dragoner kommt rein, quittiert meine ungewöhnliche Haltung mit Kopfschütteln. Deutet mir, ich soll meinen Arm auf die Ablage zu legen. Nun liegt mein Arm nach oben, das kann ja auch nicht richtig sein. Ich wehre mich nicht, denn ich denke, wenn ich jetzt was Falsches sage, schneitet sie mir den Arm ab. Sie betatscht mich, keine Handschuhe keine Desinfektion. Sehr freundlich frage ich ob es möglich währe, dass sie sich die Hände wäscht bevor sie mich anfasst. O je, da war es das falsche Wort. Mit schriller Stimme kreischt sie; ”Ich habe doch noch gar nicht angefangen! “ und wird zornesrot im Gesicht. Ich entschuldige mich, ( hier sei angemerkt das ich die Ärztin sehr gut leiden kann und ich längst bemerkt habe, dass diese Sprechstundenhilfe eine Notlösung oder eine Vertretung sein musste, also nicht für immer da sein würde.) so von wegen dass ich da sehr empfindlich sei. Sie aber schaut mich beschwichtigend an und sagt, “machen sie sich mal keine Sorgen, wir haben hier noch ganz andere psychiatrische Patienten, mit ihnen werde ich schon fertig” und wäscht sich ausgiebig die Hände. Sie findet keine Vene, ich sage sie soll doch den Handrücken nehmen.”Wie? das tut doch weh?”, ja sage ich ”das tut weh”. Sie macht sich über meine Hand her, schiebt eine Schmetterlings-Nadel in meinen Handrücken, klebt sie aber nicht fest. Dann läuft das Blut, während es das tut, wedelt sie fleissig mit dem Schlauch hin und her. Sie wartet auf mein Jammern, aber ich verziehe keine Miene. Als ich letzthin ein Rezept abgeholt habe, war sie nicht mehr da. Meine Ärztin fragt mich, ob ich mich vor dem Arbeitsgericht als Zeugin zur Verfügung stellen würde. Leider gibt es keine Gerechtigkeit, denn bei der Verhandlung es ist auf einen Vergleich rausgelaufen. Eigentlich muss so jemand doch Berufsverbot bekommen.                         

Montag, 18. Mai 2015

Mai - von Tag zu Tag: Wer die Nachtigall stört


Gestern hab ich mit T. einen Spaziergang am Tegeler See gemacht. “Wo wollen wir den laufen?”, war seine Frage per WhatsApp, “ich kenne mich am See nicht aus”. “Gut”, sage ich, ich suche uns eine schöne Stelle zum spazieren gehen. Fein, er war einverstanden. Als wir uns in der Tegeler Fussgänge-Zone treffen, ist er erstaunt, warum ich ins Auto steigen will. Warum gehen wir denn nicht hier an der Uferpromenade? Ich sage mit einem Fragezeichen in den Augen, “wollten wir nicht am See spazieren gehen?” Die Uferpromenade in Tegel ist wie Alexanderplatz am Samstag. Wir fahren durch einen wunderschönen Waldweg am See entlang; “wie lange fahren wir denn noch und wo fahren wir den hin”, wird neben mir ungeduldig gefragt. Ich antworte, “bis es nicht mehr weiter geht”. Ich hatte den Weg natürlich vorher ausgesucht. Eine kleine Badestelle sollte das Endziel sein. Endlich dort angekommen, steht er herum wie Falschgeld. Die Stelle liegt in einer kleinen Bucht, ein paar Jachten ankern dümpelnd mitten drin, das Licht ist seidig. Eine kleine Gruppe Leute lagert um eine Grillfeuer. Ein paar davon sind wie richtige Seeräuber verkleidet und man hört südamerikanische Wortfetzen. Eine Graugansfamilie watschelt ohne Angst mitten durch die Leute. T. steht noch immer an der oberen Kante des kleinen Strandes und schaut unwirsch. “Komm”, sage ich zu ihm, “lass uns mal runter zum Wasser schauen und die Bucht ein wenig erkunden”. Er ist nicht begeistert, also gehe ich los. Ich begrüsse die verkleidete Truppe und sehe, dass sie eine Kamera auf ein Stativ montieren, offensichtlich wollen sie filmen. T. kommt zögerlich nach und fotografiert die Gänseküken. Ich gehe noch eine paar Schritte in die wild verwachsene Bucht, um sie zu erkunden; es ist etwas unwegsam, und gleich meint T., “komm, lass uns umdrehen, hier geht es nicht weiter”. Gut ich schwenke um und wir gehen weiter auf dem Weg. Gleich nach eine paar Schritten ein Steg, der zieht mich magisch an. Ich gehe hin, will bis vor zum Wasser und sage, “komm, hier kann man super Fotos machen”. Er, “nein, da darf man nicht drauf”. Kommt aber dann doch und begeht als Erster den Steg.



Er ist ganz morsch und man muss aufpassen, dass man nicht durchbricht. Macht nichts, wir kommen bis ans Ende und können ins Wasser schauen. Ich sehe, wie klar das Wasser ist, und dass dort jede Menge Seerosen stehen. Ich mache zwei Fotos und er macht eins von mir. Wir gehen weiter, T. bemerkt, dass wir besser auf der anderen Seite gelaufen wären, denn von hier müssen wir uns nun die langweiligen Häuser, die am anderen Ufer in Tegel stehen, anschauen. Ja, man kann über die Spitzen der Bäume am anderen Ufer drei Dächer der Hochhäuser sehen. Wir gehen weiter, er immer drei Schritte vor mir. Ich gebe mir keine Mühe ihn einzuholen. Menschen, die so laufen, lassen den anderen nie neben sich gehen. Er doziert über Fotografie, Weissabgleich und Normkarten. Super, wenn einer was weiss, doch gestern war das nicht mein Thema. Die Amsel-Männchen sangen ihr freudiges Lied über ihren Nachwuchs. Melodien von mir unbekanntem Federvieh war zu hören und dann die Nachtigallen. Ich blieb mehrmals stehen, um sie besser zu hören. Sagt er, “Nachtigallen, hab’ ich noch nie gehört”. Wann immer wir stehen bleiben, hören sie auf zu Tirilieren. Sobald wir weitergehen, fangen sie wieder an. So kann ich ihm nie genau sagen, welche nun die Nachtigall ist. Ach, sagt er, das ist doch ganz einfach und zückt sein Handy, sucht ein wenig und hebt dann sein Handy hoch und siehe da, es zwitschert eine Nachtigall. Aus dem kleinen Lautsprecher hört es sich ein wenig blechern an, aber es ist eindeutig eine Nachtigall. Er ist begeistert, weil er nun glaubt, dass ihm alle anderen Nachtigallen im Wald antworten. Ich mache noch einen schwachen Versuch, ihm zu erzählen, was sie in ihrer vermeintlichen Antwort sagen. Das interessiert ihn aber nicht weiter. Wir gehen weiter denn ich verstehe was sie sagen: “He, hau’ ab, wenn du keine Nachtigall-Frau bist; das hier ist mein Platz!”
Schöne neue Welt.          

Donnerstag, 7. Mai 2015

Erste Erinnerungen


Ich kam 1948 auf zur Welt; Torweg 67, in der romantischen Gartenstadt Staaken, im Bett meiner Großeltern. Ich liess wohl lange auf mich warten und so wurde Mutter mit viel Kaffee aufgemuntert, um nicht schlapp zu machen. 15:30 Uhr flutschte ich dann, Koffein geschwängert, in diese Welt. Nachkriegszeit, aber immerhin schon Frieden. Das Essen war knapp und so wurde ich so lange gestillt, bis ich eines Tages einer fremden, dickbusige Frau, die in der S-Bahn neben uns sass, an die Brust griff und sagte, ” hmm, Nanni haben !“, was so viel heissen sollte wie, die hat dicke Brüste, da ist bestimmt was für mich drin. Darauf hin wurde ich dann abgestillt. Da war ich ein Jahr alt und konnte angeblich schon sprechen; könnte passen, glauben tue ich das allerdings nicht. Damals lebten meine Eltern in einer Siedlung mit kleinen, kastenartigen, weissen Häusern an der Heerstrasse; die Siedlung wurde “Klein Jerusalem” genannt. Vermutlich stellte sich der Vorstadt-Berliner so Jerusalem vor. Die Häuser stehen noch immer und könnten von Architekt Walter Gropius sein. Hinter dem Haus gab es einen Hühnerstall. Er gehörte dem Nachbarn und dort drin inmitten der Hühner  war mein Lieblingsspielplatz. Wenn Mutter nach mir rief, antwortete der Nachbar, “die ist im Hühnerstall”. Meine Lust die Gegend zu erkunden, ich lief wohl immer weg, wurde kurzerhand dadurch unterbunden, dass ich an einer langen Leine an den Gartenzaun gebunden wurde. Ich habe dann immer am äussersten, straffen Ende der Leine gespielt.



Dann kam 1950 mein Bruder zur Welt, ein ewig heulender Säugling, der ständig meine Ruhe störte. Ein gutes Jahr später hatte ich Masern und vermutlich steckte ich meinen Bruder damit an, denn er erkrankte an einer Hirnhautentzündung. Die allererste Erinnerung in meinem Leben ist eine nächtliche Fahrt mit dem Krankenwagen nach “Mitte” in die Charitee. 40 Fieber, Mandelentzündung, Notoperation. Ein Sieb lag über meinem Gesicht. Darüber lag ein Tuch. Während ich dies hier schreibe, wird mir immer noch übel, wenn ich an den Geruch des Äthers denke, der damals auf das Tuch tropfte.