Sonntag, 14. Juni 2015

1956-58 Sebnitz Waldbad



Brillenschlange

Überall in den Bäumen waren Brillenschlange. Sie schlängelten sich in den Ästen und lauerten. Meine Augen in den Baumkronen ging tapfer meinen Weg. Immer in Erwartung dass sich gleich eine auf mich fallen lassen würde. Ich hatte nie Brillenschlangen gesehen, aber ich wusste, sie sind riesengross, haben runde Brillen auf dem Kopf und sind sehr gefährlich.
Ich wusste, dass ich mir das nur einbildete, und doch war es mir nicht möglich die Furcht zu unterdrücken. Ich war auf dem Weg zum Waldbad. Ich schleppte meine Tasche mit den Badesachen und dem Proviant und war mit den Augen nur oben in den Bäumen, um nach den Schlangen Ausschau zu halten;  was immer , wenn sie auf mich gefallen wären, mit mir gemacht hätten, wollte ich mir nicht ausmalen. Es reichte schon einfach nur Angst zu haben. Der Weg war weit, ging bergauf und immer am Bach entlang. Das Waldbad lag idyllisch zwischen den Bäumen. Das Wasser im flachen Becken leuchtete himmelblau . Die Angst vor den Schlangen war hier schnell verschwunden.


Kokeln am Waldrand

Auf der Wiese direkt am Waldrand gab es Anfang des Sommers kleine Laubfrösche, die zu fangen wir Kinder nie müde wurden. Sie waren so niedlich und kitzelten, wenn man sie in der geschlossenen Hand gefangen hielt. Einmal hatten wir am Waldrand des Bades eine kleine Erdgrube ausgehoben und versuchten darin Feuer zu machen; vermutlich war sogar  ich es, die die Streichhölzer mitgebracht hatte. Ich weiß auch gar nicht mehr, warum wir das Feuer machten. Ganz sicher wollten wir keine Frösche in der Grube braten. Aber die Kokelei war spannend und aufregend und im Schutz der Tannen glaubten wir uns unbeobachtet. Es wollte und wollte nicht brennen und dann verpetzte uns auch noch jemand an den Bademeister. Wir mussten am kommenden Tag unsere Eltern mitbringen, um uns von diesen ein Standpauke abzuholen. Für Eltern und Bademeister war die Frage nach dem warum sehr wichtig und was wir uns dabei gedacht hatten; wir Kinder hatten uns keinerlei Gedanken gemacht. Wir waren nur damit beschäftigt, es endlich zum brennen zu bringen, was uns zum Glück aber nicht gelang!

Verletzung

Später ist mein kleiner Bruder in diesem Schwimmbad auf dem rauen Betonrand des Beckens ausgerutscht und ins Wasser gefallen. Er hat sich dabei eine grosse Fleischwunde am Rücken zugezogen. Mein Gott, heute käme der Notarztwagen und das Bad würde gesperrt werden. Damals klebte man aber nur ein großes Pflaster auf die blutende Wunde. Heute ist von der riesigen Wunde von damals nur noch eine kleine Narbe sehen. Er ist halt in der Zwischenzeit groß geworden.



Punkt, Punkt,Komma,Strich

Punkt, Punkt, Komma,Strich              

Das erste Wort was ich in der Schule lernte war L I LO. Alle Buchstaben wurden zuvor wieder und wieder geübt. Die L,s waren einfach, die I,s sowieso, die O,s waren schon schwieriger. Sie so richtig rund zu bekommen erforderte grosse Konzentration. O O O O ...und noch mehr O O O … Dann endlich hatte ich den Bogen raus und dann war es auch gleich langweilig. Ganz heimlich habe ich dann dem O in der vorletzten Zeile  ganz rechts unten auf meiner Heftseite ein kleines Gesicht gemalt, Punkt Punkt Komma Strich, fertig ist das Mondgesicht .... Ich dachte eigentlich das sieht keiner, aber die Lehrerin hat einen Kommentar für meine Eltern beigefügt. Zu meinem Glück haben die Eltern aber darüber gelacht.

In unserer Strasse gab es eine Waffelbäckerei, für 5 Pfennige konnte man dort eine Tüte Schaum-Waffelbruch kaufen. Ein seltenes Vergnügen dass,  wenn ich tatsächlich 5 Pfennige bekam was ganz besonderes war und unter uns Kindern zelebriert wurde. Wir setzten uns auf die Treppe und dann haben wir andächtig genascht. Erst die ganz kleinen Stücke und zum Schluss die großen.              

Zählen lernen und Doktorspiele

Zählen lernen und Doktorspiele
Der Vati hat mir bei den Hausaufgaben geholfen. Bis 10 konnte ich ja schon zählen doch dann ging es irgendwie nicht weiter und meine mir ganz eigene Logik spielte mir einen Streich. Zehn, elf, zwanzehn ... Der Vati schaute belustigt, nochmal Bergit sagte er. Zehn, elf, zwanzehn...der Vati schaute erstaunt, noch mal Bergit das war auch nicht richtig. Zehn, elf,zwanzehn...der Vati schaute böse, fing an zu schimpfen und ich fing an zu weinen. Er schimpfte wie dumm ich doch sei. Wie es richtig heißt hat er erst gesagt als ich schon vollkommen in Tränen aufgelöst war. Das war ein Glück das einzige und letzte mal dass er mir bei den Hausaufgaben “geholfen” hat.

Wir wohnten in einem Haus mit vier oder sechs Wohnungen, genau kann ich das nicht erinnern denn wir wohnten im Erdgeschoss und was darüber war hab ich irgendwie nicht registriert. Ich war ja erst fünf Jahre alt. Es wohnten aber ein paar Kinder in meinem Alter im Haus. Vor meinem Fenster stand eine Robinie und ich erinnere mich noch immer ganz genau an ihren Duft wenn sie in Blüte stand. Heute noch, Ende Mai wenn sie hier in Berlin blühen und die Stadt ist voll davon, fahre ich gerne mit dem Rad durch die Stadt und geniesse die Kakofonie der Düfte. In unserem Hof gab es einen Hühnerstall und eine Remise, in der war das Waschhaus. Der Hof war in meiner Erinnerung recht gross und es gab auch eine Wiese, die eigentlich immer voll mit den Hinterlassenschaften der Hühner war. Denn die Biester sind oft aus ihrem sandigen Auslauf ausgebüxt und haben auf der Wiese gepickt. Sah aus als hätte es ihnen Spass gemacht so im Gras herumzustochern. Wir Kinder haben oft beim Einfangen geholfen...put put put, so mussten wir dann immer rufen. Eines Tages haben wir uns ein Zelt gebaut. Mit Klammern haben wir alte graue und grüne Decken an der Wäscheleine festgemacht. Im Zelt war es heiss, denn die Sonne stand hoch am Himmel und uns war auch von innen heiss, denn wir machten verbotene Dinge. Doch zu diesem Zeitpunkt wussten wir davon noch nichts, spannend war es aber allemal. Wir waren zu viert, ein Junge sass mit runter gelassener Hose und weit gespreizten Beinen, flankiert von einem Jungen und einem Mädchen und ich hockte vor ihm. Der Junge neben ihm hielt seinen winzigen Pimmel hoch und das Mädchen zog mit ihren kleinen Fingern seine Vorhaut so hoch und auseinander dass ein kleiner Hohlraum entstand.  Mit einem kleinen Eislöffel aus Holz schaufelte ich in diesen kleinen Hohlraum feinen Märkischen Sand. Wir waren alle ganz andächtig vertieft in unser Tun. In meiner Erinnerung hat es ewig gedauert, es war stickig, schummerig, auch aufregend und hatte ein jähes Ende. Die Decke am Eingang wurde zurückgeschlagen, gleissendes Licht viel auf uns… Ich drehte mich um und sah den dunklen Umriss meinen Vater im Eingang. In gebückter Haltung schaute er eine Weile regungslos zu uns runter. Er sagte kein Wort, liess nur die Decke wieder fallen und war weg. Sofort war unser Spiel zu ende, wir stoben mit schlechtem Gewissen auseinander. Lange traue ich mich nicht nach Hause, wenn schon der Vater nichts gesagt hat dann würde sicher die Mutter schimpfen. Es fing schon an zu Dunkeln als ich den Familienpfiff hörte, der mir sagte dass ich rein kommen muss. Ich hatte einen Wiesenblumenstrauss für die Mutter gepflückt, um sie in Erwartung von Schimpfe milde zu stimmen. Sie sagte aber kein Wort, schaute noch nicht mal böse. Es gab Abendbrot und dann ein ganz normales Ins-Bett-geh-Ritual...kein Wort zu dem was da im Zelt geschah. Wochenlang noch hatte ich Sorge ob der Vater mich  nicht doch noch verraten würde. Leider hab ich als Erwachsene versäumt noch mal nach damals zu fragen.

Einschulung in Staaken

Einschulung in Staaken

Als ich eingeschult wurde passten die Schuhe gerade noch so und ich hatte die schönsten Schuhe von allen Kindern in der Schule an.

Wir waren wieder ungezogen, zurück nach Staaken und das war diesmal eindeutig der Russische Sektor. Niemals habe ich erfahren was meine Eltern geritten hat dort hin zu ziehen. War das schon von langer Hand von meinen kommunistischen Großeltern eingefädelt worden? Die Großmutter hatte vermutlich vor, die sozialistische Seele meines Vaters auch zu einem Kommunisten zu machen. Davon später mehr. Wenn mal jemand meine Eltern fragte warum sie in die Ostzone gezogen sind, sagte meine Mutter immer; ach das war dumm denn plötzlich war da die Mauer und wir waren im Osten. Niemals hat es da eine ehrliche Antwort gegeben auch nicht innerhalb der Familie. Ich weiss nur dass meine kommunistischen Großeltern jahrelang nicht mehr zu Besuch kamen als meine Eltern dann 1959 endgültig in den Westen geflüchtet waren.
                  

Hochzeitskutsche

Fremde Leute kamen auf meine Mutter zu und fragten ob ich, weil ich so ein niedliches Mädchen sei, bei einer kirchlichen Trauung in Neuköln Blumen streuen könne. Aus hellblauen Taft nähte meine Mutter ein Kleid mit Rüschen und Schleifen für mich und  ich bekam die schönsten Schuhe die ich in meinem ganzen Kinderleben je bekommen hatte. Schwarze Lackschuhe mit eingestanztem Blumenmuster. Ganz konzentriert ging ich vor dem Brautpaar her und streute Rosenblätter auf ihrem Weg vom Altar bis zur Kutsche. Zwei ganz große Schimmel, die synchron mit ihre langen zu einem Zopf geflochtenen weissen Schwänzen schaukelten, waren angespannt in eine weisse Hochzeitskutsche. Ich durfte mit einsteigen und fuhr ganz allein mit dem Brautpaar durch die Stadt. Die Menschen am Strassenrand winkten und riefen Glückwünsche zu uns hin und ich kam mir ganz grossartig vor.