Sonntag, 14. Juni 2015

1956-58 Sebnitz Waldbad



Brillenschlange

Überall in den Bäumen waren Brillenschlange. Sie schlängelten sich in den Ästen und lauerten. Meine Augen in den Baumkronen ging tapfer meinen Weg. Immer in Erwartung dass sich gleich eine auf mich fallen lassen würde. Ich hatte nie Brillenschlangen gesehen, aber ich wusste, sie sind riesengross, haben runde Brillen auf dem Kopf und sind sehr gefährlich.
Ich wusste, dass ich mir das nur einbildete, und doch war es mir nicht möglich die Furcht zu unterdrücken. Ich war auf dem Weg zum Waldbad. Ich schleppte meine Tasche mit den Badesachen und dem Proviant und war mit den Augen nur oben in den Bäumen, um nach den Schlangen Ausschau zu halten;  was immer , wenn sie auf mich gefallen wären, mit mir gemacht hätten, wollte ich mir nicht ausmalen. Es reichte schon einfach nur Angst zu haben. Der Weg war weit, ging bergauf und immer am Bach entlang. Das Waldbad lag idyllisch zwischen den Bäumen. Das Wasser im flachen Becken leuchtete himmelblau . Die Angst vor den Schlangen war hier schnell verschwunden.


Kokeln am Waldrand

Auf der Wiese direkt am Waldrand gab es Anfang des Sommers kleine Laubfrösche, die zu fangen wir Kinder nie müde wurden. Sie waren so niedlich und kitzelten, wenn man sie in der geschlossenen Hand gefangen hielt. Einmal hatten wir am Waldrand des Bades eine kleine Erdgrube ausgehoben und versuchten darin Feuer zu machen; vermutlich war sogar  ich es, die die Streichhölzer mitgebracht hatte. Ich weiß auch gar nicht mehr, warum wir das Feuer machten. Ganz sicher wollten wir keine Frösche in der Grube braten. Aber die Kokelei war spannend und aufregend und im Schutz der Tannen glaubten wir uns unbeobachtet. Es wollte und wollte nicht brennen und dann verpetzte uns auch noch jemand an den Bademeister. Wir mussten am kommenden Tag unsere Eltern mitbringen, um uns von diesen ein Standpauke abzuholen. Für Eltern und Bademeister war die Frage nach dem warum sehr wichtig und was wir uns dabei gedacht hatten; wir Kinder hatten uns keinerlei Gedanken gemacht. Wir waren nur damit beschäftigt, es endlich zum brennen zu bringen, was uns zum Glück aber nicht gelang!

Verletzung

Später ist mein kleiner Bruder in diesem Schwimmbad auf dem rauen Betonrand des Beckens ausgerutscht und ins Wasser gefallen. Er hat sich dabei eine grosse Fleischwunde am Rücken zugezogen. Mein Gott, heute käme der Notarztwagen und das Bad würde gesperrt werden. Damals klebte man aber nur ein großes Pflaster auf die blutende Wunde. Heute ist von der riesigen Wunde von damals nur noch eine kleine Narbe sehen. Er ist halt in der Zwischenzeit groß geworden.



Punkt, Punkt,Komma,Strich

Punkt, Punkt, Komma,Strich              

Das erste Wort was ich in der Schule lernte war L I LO. Alle Buchstaben wurden zuvor wieder und wieder geübt. Die L,s waren einfach, die I,s sowieso, die O,s waren schon schwieriger. Sie so richtig rund zu bekommen erforderte grosse Konzentration. O O O O ...und noch mehr O O O … Dann endlich hatte ich den Bogen raus und dann war es auch gleich langweilig. Ganz heimlich habe ich dann dem O in der vorletzten Zeile  ganz rechts unten auf meiner Heftseite ein kleines Gesicht gemalt, Punkt Punkt Komma Strich, fertig ist das Mondgesicht .... Ich dachte eigentlich das sieht keiner, aber die Lehrerin hat einen Kommentar für meine Eltern beigefügt. Zu meinem Glück haben die Eltern aber darüber gelacht.

In unserer Strasse gab es eine Waffelbäckerei, für 5 Pfennige konnte man dort eine Tüte Schaum-Waffelbruch kaufen. Ein seltenes Vergnügen dass,  wenn ich tatsächlich 5 Pfennige bekam was ganz besonderes war und unter uns Kindern zelebriert wurde. Wir setzten uns auf die Treppe und dann haben wir andächtig genascht. Erst die ganz kleinen Stücke und zum Schluss die großen.              

Zählen lernen und Doktorspiele

Zählen lernen und Doktorspiele
Der Vati hat mir bei den Hausaufgaben geholfen. Bis 10 konnte ich ja schon zählen doch dann ging es irgendwie nicht weiter und meine mir ganz eigene Logik spielte mir einen Streich. Zehn, elf, zwanzehn ... Der Vati schaute belustigt, nochmal Bergit sagte er. Zehn, elf, zwanzehn...der Vati schaute erstaunt, noch mal Bergit das war auch nicht richtig. Zehn, elf,zwanzehn...der Vati schaute böse, fing an zu schimpfen und ich fing an zu weinen. Er schimpfte wie dumm ich doch sei. Wie es richtig heißt hat er erst gesagt als ich schon vollkommen in Tränen aufgelöst war. Das war ein Glück das einzige und letzte mal dass er mir bei den Hausaufgaben “geholfen” hat.

Wir wohnten in einem Haus mit vier oder sechs Wohnungen, genau kann ich das nicht erinnern denn wir wohnten im Erdgeschoss und was darüber war hab ich irgendwie nicht registriert. Ich war ja erst fünf Jahre alt. Es wohnten aber ein paar Kinder in meinem Alter im Haus. Vor meinem Fenster stand eine Robinie und ich erinnere mich noch immer ganz genau an ihren Duft wenn sie in Blüte stand. Heute noch, Ende Mai wenn sie hier in Berlin blühen und die Stadt ist voll davon, fahre ich gerne mit dem Rad durch die Stadt und geniesse die Kakofonie der Düfte. In unserem Hof gab es einen Hühnerstall und eine Remise, in der war das Waschhaus. Der Hof war in meiner Erinnerung recht gross und es gab auch eine Wiese, die eigentlich immer voll mit den Hinterlassenschaften der Hühner war. Denn die Biester sind oft aus ihrem sandigen Auslauf ausgebüxt und haben auf der Wiese gepickt. Sah aus als hätte es ihnen Spass gemacht so im Gras herumzustochern. Wir Kinder haben oft beim Einfangen geholfen...put put put, so mussten wir dann immer rufen. Eines Tages haben wir uns ein Zelt gebaut. Mit Klammern haben wir alte graue und grüne Decken an der Wäscheleine festgemacht. Im Zelt war es heiss, denn die Sonne stand hoch am Himmel und uns war auch von innen heiss, denn wir machten verbotene Dinge. Doch zu diesem Zeitpunkt wussten wir davon noch nichts, spannend war es aber allemal. Wir waren zu viert, ein Junge sass mit runter gelassener Hose und weit gespreizten Beinen, flankiert von einem Jungen und einem Mädchen und ich hockte vor ihm. Der Junge neben ihm hielt seinen winzigen Pimmel hoch und das Mädchen zog mit ihren kleinen Fingern seine Vorhaut so hoch und auseinander dass ein kleiner Hohlraum entstand.  Mit einem kleinen Eislöffel aus Holz schaufelte ich in diesen kleinen Hohlraum feinen Märkischen Sand. Wir waren alle ganz andächtig vertieft in unser Tun. In meiner Erinnerung hat es ewig gedauert, es war stickig, schummerig, auch aufregend und hatte ein jähes Ende. Die Decke am Eingang wurde zurückgeschlagen, gleissendes Licht viel auf uns… Ich drehte mich um und sah den dunklen Umriss meinen Vater im Eingang. In gebückter Haltung schaute er eine Weile regungslos zu uns runter. Er sagte kein Wort, liess nur die Decke wieder fallen und war weg. Sofort war unser Spiel zu ende, wir stoben mit schlechtem Gewissen auseinander. Lange traue ich mich nicht nach Hause, wenn schon der Vater nichts gesagt hat dann würde sicher die Mutter schimpfen. Es fing schon an zu Dunkeln als ich den Familienpfiff hörte, der mir sagte dass ich rein kommen muss. Ich hatte einen Wiesenblumenstrauss für die Mutter gepflückt, um sie in Erwartung von Schimpfe milde zu stimmen. Sie sagte aber kein Wort, schaute noch nicht mal böse. Es gab Abendbrot und dann ein ganz normales Ins-Bett-geh-Ritual...kein Wort zu dem was da im Zelt geschah. Wochenlang noch hatte ich Sorge ob der Vater mich  nicht doch noch verraten würde. Leider hab ich als Erwachsene versäumt noch mal nach damals zu fragen.

Einschulung in Staaken

Einschulung in Staaken

Als ich eingeschult wurde passten die Schuhe gerade noch so und ich hatte die schönsten Schuhe von allen Kindern in der Schule an.

Wir waren wieder ungezogen, zurück nach Staaken und das war diesmal eindeutig der Russische Sektor. Niemals habe ich erfahren was meine Eltern geritten hat dort hin zu ziehen. War das schon von langer Hand von meinen kommunistischen Großeltern eingefädelt worden? Die Großmutter hatte vermutlich vor, die sozialistische Seele meines Vaters auch zu einem Kommunisten zu machen. Davon später mehr. Wenn mal jemand meine Eltern fragte warum sie in die Ostzone gezogen sind, sagte meine Mutter immer; ach das war dumm denn plötzlich war da die Mauer und wir waren im Osten. Niemals hat es da eine ehrliche Antwort gegeben auch nicht innerhalb der Familie. Ich weiss nur dass meine kommunistischen Großeltern jahrelang nicht mehr zu Besuch kamen als meine Eltern dann 1959 endgültig in den Westen geflüchtet waren.
                  

Hochzeitskutsche

Fremde Leute kamen auf meine Mutter zu und fragten ob ich, weil ich so ein niedliches Mädchen sei, bei einer kirchlichen Trauung in Neuköln Blumen streuen könne. Aus hellblauen Taft nähte meine Mutter ein Kleid mit Rüschen und Schleifen für mich und  ich bekam die schönsten Schuhe die ich in meinem ganzen Kinderleben je bekommen hatte. Schwarze Lackschuhe mit eingestanztem Blumenmuster. Ganz konzentriert ging ich vor dem Brautpaar her und streute Rosenblätter auf ihrem Weg vom Altar bis zur Kutsche. Zwei ganz große Schimmel, die synchron mit ihre langen zu einem Zopf geflochtenen weissen Schwänzen schaukelten, waren angespannt in eine weisse Hochzeitskutsche. Ich durfte mit einsteigen und fuhr ganz allein mit dem Brautpaar durch die Stadt. Die Menschen am Strassenrand winkten und riefen Glückwünsche zu uns hin und ich kam mir ganz grossartig vor.  



Samstag, 30. Mai 2015

Nestbau

Eine Amsel ist bei mir eingezogen. Ich hatte mir gerade vier wunderschöne Stiefmütterchen gekauft und zu den Löwenmaul-Pflanzen, die den Winter überstanden hatten, in einen flachen großen Topf gesetzt. Irgendwie sind sie nicht richtig angegangen. Schon am zweiten Tag sahen sie so niedergetrampelt aus, was auf dem Balkon im ersten Stock ja nicht wirklich sein kann.

 Ich zupfe sie also wieder zurecht, giesse, drücke die Erde an, doch als ich am nächsten Tag nachschaue, sehen sie genauso zertrampelt aus wie zuvor. Doch als ich genauer schaue, entdecke ich mitten drin im Topf eine kleine Mulde. Mir gegenüber im Baum sitzt eine Amsel und zetert. Ich schaue amüsiert und frage “ was schimpfst du denn so”. Als ich den Balkon verlasse und die Tür hinter mir schliesse, sehe ich aus den Augenwinkeln einen dunklen Schatten vorbei huschen. Die Amsel. Sie landet mitten im Stiefmütterchentopf. Ah, denke ich, sie ist also der Trampler. Ich muss sagen, sie hat Wohngeschmack. In mitten der weissen Blumen schaut sie wirklich ganz possierlich aus. Sie zupft und puttelt die Pflanzenstängel auseinander, legt sich mitten in den Topf und drückt und rüttelt mit ihrem Bauch eine kleine Mulde zurecht.





 



Als sie wieder weg fliegt, stecke ich ein paar Stöckchen über die Mulde. So ein Vogelnest macht doch eine arge Sauerei auf dem Balkon und ausserdem gibt es im Park gegenüber doch sicher genug doch Orte, wo sie ihr Nest bauen könnte. So denke ich, doch kaum gedacht, drehe ich mich um und ziehe die Stöckchen wieder raus. Eigentlich könnte es doch interessant sein so einem Vogel beim Nestbau und Brühten zuzusehen und Vergnügen bringt es allemal. Die Stiefmütterchen werden das halt aushalten müssen. So denke ich dann… und ich werde es auch aushalten. Sie kommt  zurück, hat offensichtlich nichts von meinem Boykott an ihrem Nest bemerkt, schabt wieder in der Erde setzt sich mitten rein in die kleinen Mulde, hudert wieder und wieder mit ihrem Bauch und ausgebreiteten Flügeln bis die Mulde rund genug für sie ist. Sie hockt sich auf den Rand des Blumentopfes und begutachtet ihr Werk. Drei Tage braucht sie bis die Mulde ganz nach ihrem Geschmack ist; dann sehe ich am nächsten Morgen das erste Zweiglein. Eingefädelt zwischen den Blumen. Am nächsten Morgen ist schon der ganze Rand der Mulde mit feinen Stöckchen und trockenen Gräsern umrandet. Kein einziges mal habe ich sie beim Nestbau beobachten können. Die ganze Bauarbeit muss in den ganz frühen Morgenstunden stattgefunden haben. Denn wenn ich morgens um sechs auf den Balkon kam, war schon immer ein grosses Stück weiter gebaut.Tags über war der Bau verlassen. Mit grosser Akribie wurde der Rand gefertigt, drei Tage hat sie allein dafür gebraucht. Vom letzten Herbst hatte ich noch ein paar weiche Gräser liegen, die habe ich ihr dazu gelegt. Ich dachte mir, ich helfe ein wenig mit, dann muss sie nicht so oft fliegen. Aber die wollte sie  gar nicht; schnöde lagen sie auf dem Boden. Nun gut, dachte ich mir, die haben dir halt nicht gefallen. Ich würde auch nicht wollen, dass jemand anderer meine Wohnung einrichtet. Habe aber dann trotzdem noch beim Nestbau geholfen; ein kleines Zweiglein stand nämlich schon zwei Tage störrisch ab und das habe ich dann eingefädelt. Das hat sie aber akzeptiert oder gar nicht bemerkt. Nach drei Tagen war der Rand fertig, nur die akkurate Rundung der Erdmulde im Boden war noch zu sehen.
Am Morgen darauf war der Nestboden mit sehr dünnen Ästchen verwoben. Vermutlich wird so ein Nest in der Morgendämmerung  gebaut, weil die grossen Greifvögel da noch schlafen und so nicht sehen können, wo bald ihr Frühstücksei zu finden wäre. So früh ich auch geschaut habe, immer war nur der Fortschritt zu sehen. Nach einer Woche war das Nest dann fertig. Als ich am achten Tag auf den Balkon komme, sitzt sie im Nest. Mit gerecktdem Hals und kugeligen, vorwurfsvollen Augen schaut sie mich an, “ja”, sage ich da zu ihr, “schau nicht so empört, ich bin hier zu Hause und du bist mein Gast”. Sie bleibt sitzen. Ich gehe in die Küche und mache mein Frühstück; als ich mit dem Tablett zurück komme, sehe ich, dass sie ausgeflogen ist. Sofort schaue ich ins Nest und siehe, da ein kleines blassblau-beige gesprenkeltes Ei liegt drin.


Schon kommt sie mit elegantem Schwung und ganz leise zurück geflogen. Vermutlich war sie frühstücken oder duschen und Schnabel putzen. Sie macht es sich im Nest wieder bequem, rüttelt das Ei unter sich noch zurecht und schaut mich dann wieder empört an. Es war einer der ersten warmen Tage und so haben wir den ganzen Tag zusammen auf dem Balkon verbracht, sie auf dem Nest und ich in der Sonne brütend. Am nächsten Morgen war ein zweites Ei im Nest, genau so schön wie das erste. Wieder haben wir den ganzen Tag zusammen verbracht und am frühen Nachmittag habe ich beobachtet wie sie, die sonst immer ganz flach, fast unsichtbar im Nest hockt, sich aufrichtet, versonnen in den Himmel schaut und mich diesmal auch nicht beachtet, als ich vorbei gehe. Dann hebt sie den Pürzel, puttelt ein wenig unter sich rum und schmiegt sich wieder ganz flach un ihr Nest. Als ich später wieder ins Nest schauen kann, ist das dritte Ei gelegt,. Und am folgenden Tag, es ist wieder kalt geworden, liegt das vierte Ei im Nest. 


Ich bin erstaunt wie lange sie die Eier allein lässt und mache mir gleich sorgen, dass ihr was passiert sein könnte. Wieder und wieder schau ich nach, aber Mama ist nicht da. Es hat mal gerade sechs, sieben Grad draussen. Doch nach einer Stunde kommt sie doch zurück und sitzt den Rest des Tages auf dem Gelege. Eine ganze Woche wird nun ausdauernd gebrütet. Am achten Tag, er ist besonders schwül, schlüpft das erste Küken.

Aber ist es überhaupt das Erste; es sind nur noch zwei Eier im Nest und das erste Küken. Ganz eindeutig fehlt ein Ei. Keine zwei Stunden Später weiss ich warum. Grosses Gezeter und Gekreische direkt vor meinem Balkon, die Amseleltern hüpfen verzweifelt kreischend auf einem Ast ganz nahe beim Nest. Während eine Elster und eine Krähe darum  kämpfen an das Nest und die darin liegenden frisch geschlüpften Küken zu gelangen. Das was sie am Vortag geraubt hatten schien geschmeckt zu haben. Abgerissene Stiefmütterchen und Federn fliegen durch die Luft.


Ich reisse die Tür auf und klatsche reflexartig laut in die Hände. Komisch, die Krähe und die Elster hauen sofort ab, doch die Amseln bleiben trotz lautem Klatschen erst mal sitzend. Natürlich haben sie begriffen, dass das nicht ihnen galt. So stelle ich mir das mal vor, als stolze Vogel-Oma. So also ist das erste Küken weg gekommen; ein Frühstückshappen für ein Elster oder Krähenküken. So ist das halt in der Natur, fressen und gefressen werden. Aber doch nicht auf meinem Balkon! Will nicht hören, wie um die kleinen Würmer, die der Amselvater nun Stunde um Stunde an die Mutter übergibt, gejammert wird. Wenn er kommt füttert er erst die Mutter und danach fliegt er los und bring dann ganz schnell die nächste Ration für die Küken. Die Mutter setzt sich auf den Rand und schaut genau wie der Vater das Futter verteilt. So jetzt ist aber Gefahr in Verzug, was tun um die hungrigen Greifer abzuwehren. Die Amselmutter schaut ein wenig blöd, als ich ihr Nest mit kleinen robusten Stöckchen umzäune,doch sie muss da bleiben und sehen was ich mache, sonst findet sie nicht wieder in ihr Nest. Als es ihr dann aber doch zu bunt wird zwickt sie mir in die Hand. Hat echt weh getan und die Abdrücke ihres Schnabels waren noch lange zu sehen. Sie fliegt aus, ganz schnell greife ich zur bereit gelegten Kamera um den Neuankömmling zu filmen. Mein Gott da geht einem schon das Herz auf. So was winziges. Federlos in durchsichtige rosa glänzende Haut gehüllt und keine zwei Zentimeter gross liegt es erschöpft von der harten Arbeit des Schlüpfen´s zwischen den Geschwister eiern. Ich mache ein ähnliches Geräusch wie die Mutter wenn sie füttern will und siehe da, das Küken hebt den Kopf, stützt sich mit den winzigen Flügelstummeln auf die beiden Eier und reisst seinen Schnabel so derartig weit auf dass von ihm selbst fast nichts mehr zu sehen ist. Da entdeckt mich die Mutter, kommt angeschossen und fliegt mir gegen den Kopf. Huch hab ich mich erschrocken; mit so viel Mut und Angriffslust habe ich nicht gerechnet. So eine mutige Mutter, mir blieb kaum Zeit den Arm schützend vor das Gesicht zu halten.

Der Amselvater hält sich sehr im Hintergrund, ihm bin ich nicht geheuer. Wann immer er mich sieht, schimpft er mit recht lautem Gezeter. Frau Amsel lässt sich aber, wenn sie auf dem Nest sitzt, von meiner Anwesenheit nicht stören; na ja schon ein wenig, denn wenn ich komme, dann hockt sie sich ganz breit auf ihre Küken. Sie verlässt das Nest nun nur noch kurz, vermutlich für das “ Nötigste”. Am selben Tag schlüpfen die beiden anderen Küken und nun ist ein reges Kommen und Abfliegen im Gange.

Wie schnell der Vater die Würmer einsammelt und an die Mutter übergibt, ist mir schon ein Rätsel. Wo sind all die Würmer, wenn ich über eine Wiese gehe? Und wieviel werden platt getreten wenn ich das tue, irgendwie gruselig. Nun kann man zuschauen, wie die Küken wachsen. Jeden Morgen ist so viel mehr Federkleid gewachsen und die Augen, die noch geschlossen sind werden immer kugeliger und dunkler. Am Rücken und an den Flügeln wachsen die Federn am schnellsten. Der Rest des Körpers ist mehr mit kleinen Daunen bedeckt. Ich will die Küken fotografieren, und mache wieder so ein glucksendes Geräusch wie die Mutter. Nur einen Moment haben sie alle die Schnäbel aufgerissen und dann sofort den Betrug bemerkt und sich ganz tief ins Nest geduckt.

Schon kam die Mutter wieder angerauscht und hat sich mit empörtem Blick auf die Brut gesetzt. Als die Küken schon einen ordentlichen Happen abgeben, gibt es wieder einen Angriff. Zwei Greifvögel, eine Elster und eine Krähe kämpfen darum an das Nest zu gelangen, doch meine Abwehr-Konstruktion tut ihre Wirkung. Sie gelangen nicht an das Nest. Vollkommen aufgeregt zeternd sitzen die Eltern im Baum gegenüber und weil sie so erregt sind, werde ich, die auf dem Balkon stehe, um das Nest zu beschützen, angegriffen. Es geht ganz schnell, sie fliegt mich von unten so rasant an, so dass ich sie gar nicht gleich sehen kann und hackt mich mit ihren Krallen in dem Kopf. Ein Glück hält mein Haar das Schlimmste ab. Genauso schnell wie sie gekommen ist, fliegt sie davon, um sofort einen neuen Angriff zu starten.

Währenddessen sitzt der Vater auf dem Ast und beschränkt sich damit mich auszuschimpfen. Ich bringe mich in Deckung und beobachte hinter der Balkontür stolz, dass die kleinen Stöckchen wirkungsvoll waren und die Angreifer abgewehrt haben; und ein wenig fühle ich auch den Dank meiner kleinen gefiederten Schutzbefohlenen. Um die Mutter, die ja nun wirklich nicht mehr genug zu fressen bekommt und schon ganz dünn aussieht, zu unterstützen, reiche ich täglich einen kleinen Snack. Erst gibt es Apfelstückchen, später dann Rosinen und als es Erdbeeren gibt, ist es vorbei mit dem heimlichen fressen. Kaum hab ich die Erdbeeren aufgetragen, hüpft sie aus ihrem Nest und macht sich über die Mahlzeit her. Am dritten Tag möchte auch ich mein Vergnügen und gehe mit Erdbeeren und einer Pinzette raus.


Ich reiche ihr die Stückchen mit der Pinzette direkt vor den Schnabel. Sie schaut blöd, so was Dummes hat sie vermutlich noch nie erlebt. Nimmt mir aber dann  die gereichten Stückchen gnädig ab. Drei, vier reiche ich ihr, dann zeige ich ihr den Napf und stelle ihn wieder hin. Er steht ausser Sichtweite und doch hüpft sie raus um weiter zu fressen. Jeden Morgen gehe ich nun raus, um ihr das Frühstück zu bringen und sie wartet schon auf mich. Es ist wirklich nett zu beobachten, wie so ein scheues Tier nach einer Weile auch aus meiner Hand frisst. Das lasse ich aber nach einem Versuch wieder, denn sie ist nun so gierig dass sie mir schon mal in den Finger zwickt, wenn es nicht schnell genug geht.
Als ich einmal, ohne dass sie mich entdeckt hat, in der Balkontür stehe, sehe ich, dass sie schläft. Tief und fest, ihr kleiner Körper atmet ganz tief ein und aus.
Fast eine Minute stehe ich da und beobachte sie; wer hat schon jemals einen schlafenden Vogel gesehen. Als sie dann unvermittelt die Augen aufmacht und mich anschaut, bin ich es, die sich erschreckt. Nach einer guten Woche sind die Küken so gross, dass die Mutter sie nur noch mit Mühe zudecken kann. Immer wieder schiebt sich ein kleiner Schnabel am Bauch der Mutter vorbei und nun hört man auch schon leises Piepsen und auch die Augen sind nun auf. Dann werde ich wirklich verletzt; ich greife durch die Töpfe nach aussen um einen umgefallenen Topf vor dem Absturz zu retten, da kommt die Amselmutter, wieder ganz leise von unten angeflogen und hackt mir so fest mit ihren Krallen in die Hand, dass ich doch tatsächlich blute. Sofort ist die winzige Wunde rot angeschwollen und ich musste mich desinfizieren. Noch heute trage ich diese kleine Narbe mit Stolz.

Am Abend dann beginnt es zu regnen,als der regen zum Sturm ausartet und dicke tropfen ans Fenster platschen kann ich nicht mehr ruhig auf meiner Couch liegen. Ich hole einen Schirm und stelle mich damit zum Nest. Ich komme mir schon eine wenig doof dabei vor. Doch bevor ich mich selber auslache lässt der regen nach.
Die Küken sind nun so gross, dass sie ihre Flügel ausbreiten und wenn sie sich unbeobachtet fühlen, auch ein wenig flattern. Ansonsten sitzen sie ganz still und flach in ihr Nest geduckt. Sie wissen ja nicht, dass ich das Nest “raubvogelsicher” gemacht habe. Ihr Instinkt ist bis zur letzten Sekunde ihres Nestaufenthaltes auf Tarnung aus. Doch dann von einer Sekunde zur anderen fliegen sie einfach los und es scheint sie nicht zu interessieren, was sie da draussen erwartet. Als ich nach 34 Tagen zusehen darf, wie das erste Küken das Nest verlässt ist es genau so. Todesmutig wird am Rand vom Nest geflattert, gezappelt und gepiepst als gäbe es da draussen keine hungrigen Raubvögel. Die Eltern waren nicht zu sehen und doch denke ich, dass sie gegenüber in den Büschen sassen und die Kinder gerufen und gelockt haben. Zielsicher fliegt der erste ab, so schnell ist er in den Büschen gegenüber verschwunden, dass ich ihn gar nicht mehr sehen konnte.




Der zweite tat es ihm gleich, doch der Dritte tat sich schwer mit so viel Mut. Er hat sich erst mal im gegenüberliegenden  Blumentopf versteckt. Über eine Stunde machte er keine Anstalten dort wieder rauszukommen. Die Eltern haben sich auch nicht mehr sehen lassen. Da habe ich mich zur Starthilfe entschlossen. Mit einer breiten lange Samenkapsel, ein Mitbringsel aus einem Urlaub auf Gomera. Die habe ich ihm hingehalten und er ist tatsächlich, wie ein zahmer Wellensittich drauf gestiegen. So habe ich ihn wieder in sein Nest gesetzt. Wieder in der Ausgangsposition angekommen, hat er allen Mut zusammen genommen ist aus dem Nest, auf dem Blumentopf und dann an den Rand der Balkonbrüstung gehopst und nach ein paar jämmerlichen Zwitscher-Rufen, voll durchgestartet. Weg war er. Zehn Tage sind seidher vergangen, heute habe ich zwei junge Amseln, ein Junge und ein Mädchen unten im Garten auf der Wiese gesehen. Einträchtig wie Bruder und Schwester sind sie hintereinander auf Futtersuche durch die Wiese gewatschelt. Zwei von Vier sind übrig geblieben, das ist eigentlich viel.            

Samstag, 23. Mai 2015

Hochzeitskutsche


Fremde Leute kamen auf meine Mutter zu und fragten ob ich, weil ich so ein niedliches Mädchen sei, bei einer kirchlichen Trauung in Neuköln Blumen streuen könne. Aus hellblauen Taft nähte meine Mutter ein Kleid mit Rüschen und Schleifen für mich und  ich bekam die schönsten Schuhe die ich in meinem ganzen Kinderleben je bekommen hatte. Schwarze Lackschuhe mit eingestanztem Blumenmuster. Ganz konzentriert ging ich vor dem Brautpaar her und streute Rosenblätter auf ihrem Weg vom Altar bis zur Kutsche. Zwei ganz große Schimmel, die synchron mit ihre langen zu einem Zopf geflochtenen weissen Schwänzen schaukelten, waren angespannt in eine weisse Hochzeitkutsche. Ich durfte mit einsteigen und fuhr ganz allein mit dem Brautpaar durch die Stadt. Die Menschen am Strassenrand winkten und riefen Glückwünsche zu uns hin und ich kam mir ganz grossartig vor.